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Das Gefängnis

Ich sass in meiner Zelle und schaue hinaus in die weite Welt, missachte die rostigen Gitterstäbe, welche mir den Weg versperren.

Tag für Tag verbringe ich damit, meinem Tagesablauf nachzukommen. Morgens aus dem Bett zu stehen. Mit einem kurzen Blick hinaus in die Welt, die allmorgendliche Körperhygiene erledigen und anschliessend in die Werkstatt um meiner Arbeit nachzukommen.
Auf dem Weg zur Arbeit werde ich von einigen Mitbewohner (tönt besser als Mitgefangenen) begrüsst. Ich nicke kurz zu und gehe weiter. Meine Gedanken sind weiterhin beim Leben ausserhalb der Gefängnismauern. Weit draussen.

Nachdem ich die üblichen Spielzeuge zusammengeschraubt habe (wir arbeiten hier für ein Kinderheim, indem wir Kinderspielzeug zusammenstellen), ertönt auch schon die Sirene. Sie kommt mir von Tag zu Tag schriller und unerträglicher vor, dabei kündigt sie nur die Mittagspause an. Von jetzt an bleibt jedem eine dreiviertelstunde Zeit, um im „Grossen Raum“ auf seine Kosten zu kommen. Meist geht es ganz gesittet zu und her, und jeder holt sich seinen Lunch um ihn anschliessend zu verschlingen.
Auch ich begebe mich in die Schlange und warte darauf, dass ich meine … sagen wir mal Essen bekomme. Es ist wahrlich kein Fünf-Sterne Restaurant, aber man hat danach wenigstens einen vollen Magen und mit ein wenig Phantasie erreicht es beinahe schon 3-Sterne.

„Gemüse oder Salat…!“ werde ich gefragt. Ich strecke meinen Teller hin und setzte mich alleine an einen Tisch. Eigentlich sass ich ja immer am grossen Tisch, habe dort sogar meinen eigenen Platz, welcher auch jetzt freigehalten wird, aber heute will ich alleine sein. Denn meine Gedanken verwirren mich. Ich will versuchen sie zu ordnen und wieder zurecht zu rücken.

Ich denke immer daran, wie ich aus dem Fenster meiner Zelle geguckt habe, und dann diese Person vorbeigelaufen ist. Die ersten Male habe ich Sie gar nicht wahrgenommen, doch vor zwei drei Wochen, als sie zum x-ten male an meinem Fenster vorbeilief, sah ich ihr in die Augen. Unsere Blicke trafen sich und blieben einige Sekunden lang aneinander haften. Von da an lassen meine Gedanken nur noch schwer ab von ihr.

Ich habe mir einige Male überlegt, ob ich versuchen soll, aus dem Gefängnis abzuhauen, habe mir bereits die besten und sichersten Fluchtpläne geschmiedet. Doch bis heute habe ich mich nicht getraut auch nur einen Umzusetzen. Einmal stand ich kurz davor, hätte nur noch einen kleinen Schritt zu tun brauchen und ich wäre ein freier Mann gewesen. Dennoch bin ich zurück in meine Zelle und habe es gelassen. Weshalb nur fragte ich mich, weshalb bin ich nicht durch die offene Tür in die Freiheit.

Frei sein – Freiheit – erwartet mich jenseits der Mauern wirklich die Freiheit. Was ist wenn alles ganz anders ist, als ich mir das vorstelle? Und was bedeutet schon Freiheit. Sind all die Menschen ausserhalb des Gefängnisses wirklich frei, können Sie tun und lassen was sie wollen?

Ich versuchte mich daran zu erinnern, wie es war bevor ich mein Leben hier im Gefängnis begann. Schemenhaft kamen einzelne Erinnerungen wieder zurück. Ich versuchte die Unterschiede zu erkennen. Doch in Wirklichkeit gibt es gar nicht so viele Unterschiede. Denn draussen in der „Freiheit“ bin ich auch gefangen, gefangen im Gesellschafts-Gefängnis. Es wird erwartet, dass man sich der Gesellschaft unterordnet, einem regelmässigen Job nachgeht und die etwas „Mehrbesseren“ bewundert und umschwärmt. Ich muss mich der Gesellschaft untergeben, damit ich in ihr leben kann. Ich muss eine Arbeit haben, ich muss mein Geld verdienen um mich in der Gesellschaft zeigen zu können. Für alles was in der Gesellschaft noch Spass macht, brauche ich Geld, brauche ich Vermögen.
Es zählt nur das, was auf dem Papier steht. Das individuelle Schicksal ist der Gesellschaft egal. Es wird streng nach Richtlinien vorgegangen. Erfüllt jemand diese Richtlinien nicht oder nicht mehr, wird die Gesellschaft versuchen ihn auszustossen, ihn abzusondern wie ein Geschwür. Man wird zu einem Fremdkörper in der Gesellschaft.

Um sich wieder auf die Beine zu stellen, und sich aufzuraffen bedarf es sehr viel Kraft und Wille. Einige schaffen es tatsächlich wieder, die anderen suchen die Erlösung im Tode.

Ist man wirklich ein Gefangener hier im Gefängnis, oder doch nicht eher Draussen? Auch wir haben hier unsere Vorschriften unsere Regeln, die befolgt werden müssen. Aber haben wir die nicht auch Draussen in der „Freiheit“?
Wir müssen uns dem stärkeren unterwerfen, wir müssen den Wärter gehorsam leisten, aber ist das nicht auch so Draussen?

Hier im Gefängnis kenne ich mich aus. Ich weiss wo und was abgeht. Ich habe mir eine soziale Struktur geschafffen. Ich weiss bei wem man Zigaretten und Alkohol kriegt. Und ich weiss auch, welche in der Hierarchie oben an mir stehen.

Aber der Gedanke an sie, lässt mich immer wieder daran zweifeln, ob es Draussen nicht doch besser sein könnte. Meine Phantasie malt sich eine schöne Zukunft aus. Wir zwei zusammen. Wie gehen durch den Park und geniessen die Stille. Hie und da ein leises Vogelgezwitscher, in der Ferne ein bellender Hund.
Wir laufen bis in die Nacht durch die Freiheit. Am Abend unter dem Sternenhimmel sitzen wir gemütlich da, nähern uns ein wenig, bis wir uns schlussendlich gemütlich aneinander kuscheln.
Wie sitzen da und geniessen die Ruhe, die Freiheit. Wir lachen miteinander und weinen zusammen. Alles passt so perfekt zueinander.

Wenn ich nur daran denke, wie es sein könnte, fängt mein Bauch an zu kribbeln, mein Augenwasser meldet sich und am liebsten würde ich sofort los und sie suchen.
Doch da kommt immer der Gedanke, was wäre wenn alles ganz anders kommen würde? Wenn sie vielleicht doch nicht so perfekt ist, wie man es sich vorstellt. Wenn man gar nicht zusammenpasst, oder wenn die Zuneigungen nur einseitiger Natur sind? Was wäre dann?

Würde ich das Leben noch im Griff halten können. Wohin würde ich gehen in dieser fremden Welt. Ich hätte nichts vertrautes mehr und müsste alles von vorn beginnen. Würde ich es überhaupt schaffen mich in der Freiheit zu integrieren oder wäre ich nur einer dieser Fremdkörper, welche ausgestossen würden.

Hier im Gefängnis bin ich zu Hause, hier ist meine gewohnte Umgebung und ich fühl mich wohl. Ich weiss, was mich morgen erwartet und ich brauche mir keine Gedanken darüber zu machen, wie ich denn nächsten Tag überleben werde, denn dafür ist hier schliesslich gesorgt.

Soll ich den Schritt wirklich wagen, ins ungewissen. Wenn ich ihn tue, dann gibt es kein zurück mehr. Es ist dann vorbei. Gewiss keine Einfache Entscheidung.

Auch heute Nacht stehe ich vor der Tür, für welche ich mir vor einiger Zeit einen Schlüssel besorgt habe (der Wärter weiss bis heute noch nicht, wo er ihn verloren hat). Ich schliesse sie auf und schaue hinaus in die Freiheit. In die weite Welt.

Morgen könnte ich sie wieder sehen aus meiner Zelle, wie sie daran vorbeispaziert. Ich könnte meinen Gedanken wieder freien Lauf geben und von einer schönen Zukunft träumen und alles so lassen wie es ist.

Oder ich kann jetzt und hier das Gefängnis verlassen und versuchen ein neues Leben anzufangen in einem neuen „Gefängnis“; denn lebt nicht jeder auf seine Art in einem Gefängnis? Gibt es wirklich Personen unserer Gesellschaft, welche in Freiheit leben? Oder hat doch wirklich jeder seine eigenen Mauern um sich herum aufgestellt?

Aber wer will das schon wissen, wer will auf all die Träumereien verzichten…..